Umsturz 1918 - Revolution 1989
Politisch korrekt ist es heute von der "Revolution" am 9. November 1918 und
der "Wende" vom 9. November 1989 bis zum 3. Oktober 1990 zu sprechen. Zehn
Jahre nach der denkbar tiefgreifenden und unblutigen Revolution 1989 ist es
an der Zeit, über dieses große Gesamterlebnis aller Deutschen nachzudenken.
Nie sind in Deutschland mehr Freudentränen vergossen worden! Das Ende der
Monarchie wird im allgemeinen (man vergleiche die Schulbücher) als
Revolution vom 9. November 1918 bezeichnet. Im kritischen Rückblick scheint
eher für 1918 der Begriff Wende und für 1989 das Wort Revolution
zuzutreffen.Bei einer Debatte anläßlich des Historikertages 1998 in
Frankfurt am Main (am 11. 9.) verglichen mehrere Gelehrte den 9. November
1918 mit dem 9. November 1989 und waren eifrig bemüht, zwischen beiden
deutschen Schicksalswenden Vergleiche anzustellen. Die einzige
monarchistische Zeitschrift Deutschlands stellt sich dem Thema, weil sie den
9. November 1918 als einen der schwärzesten Tage deutscher Geschichte und
den 9. November 1989 als ein Hoffnungszeichen sieht.
Ursachen
1918 stand die Tatsache des verlorenen Krieges im Vordergrund. Die
Waffenstillstandsverhandlungen liefen bereits seit dem 6. November. Der
amerikanische Präsident Woodrow Wilson hatte den hungernden Deutschen
vorgespiegelt, ohne den Kaiser, die übrigen deutschen Monarchen und alten
Autoritäten bekomme man einen günstigeren Frieden. Diese Lüge wurde weithin
geglaubt. Daß ein verlorener Krieg zu einem Umbau, einem Umsturz führt, ist
eine alte Erfahrung. Sie hatte sich im März 1917 in Rußland, aber auch in
Bulgarien und Österreich-Ungarn im Herbst 1918 bestätigt. Daß aber eine in
Jahrhunderten gewachsene Staatsform in Frage gestellt wurde, weil die
Propaganda der Feindmächte den Krieg als Kreuzzug gegen "Militarismus und
Reaktion" gegen Preußen als Hort der Aggression und des "Junkertums"
verstand, war neu. 1989 bestätigte sich der Tod der
marxistisch-leninistischen Ideologie. Was Fachleuten schon seit den
sechziger Jahren deutlich wurde, daß nämlich die herrschende Ideologie nur
noch eine hohle Fassade war, zeigte sich jedermann 1989. Der "Kaiser", der -
um im Märchen von H.C. Andersen zu bleiben - seine neuen Kleider
präsentieren wollte (etwa bei der 40-Jahr-Feier der DDR Anfang Oktober
1989), erwies sich als nackt. Kleine Kinder erkannten es.
Weltweit konnten die Kommunisten nur noch hohle alte Phrasen aus dem 19.
Jahrhundert zitieren. Antworten auf Umweltfragen, Bevölkerungsexplosion,
Satellitenwaffen, um nur diese Komplexe zu nennen, fielen ihnen schon seit
mehr als dreißig Jahren nicht mehr ein. Der Ideologie mußte das System
hinterherfallen. Die Sowjetunion hatte sich mit der Raketenrüstung und mit
ihrem weltweiten Engagement wirtschaftlich übernommen. Außenposten - wie die
immer noch sowjetisch besetzte Zone in Deutschland, in der Honecker eine
drastische Absenkung des Lebensstandards überlegte - ließen sich nicht mehr
halten. Einer allgemeinen Erschöpfung nach einem verlorenen Krieg (1918)
stand 1989 als tiefster Grund die tödliche Krise des Marxismus gegenüber.
Äußere Anlässe
Die Demonstranten forderten im November 1918 sofortigen Frieden und Brot.
Sie dachten (von wenigen Agitatoren wie Karl Liebknecht und Philipp
Scheidemann abgesehen) keinesfalls an die Republik. Als der hohle
Volksredner Scheidemann mit theatralischer Gebärde die Republik ausrief,
sagte Friedrich Ebert: "Philipp, das darfst du nicht." Ganz anders sah es
Ende 1989 aus. Zunächst ging es um das Verlangen nach Reisefreiheit und
Ausreise in den freien Westen unseres Vaterlandes: "Wir wollen raus."- Dann
forderte man auf den Straßen eine grundlegende Reform der "DDR": "Wir
bleiben hier." Diejenigen, die so gedroht hatten, riefen bald um der
Behauptung der SED zu widersprechen, die Volksmassen stünden hinter ihr:
"Wir sind das Volk.'
Dann kam der entscheidende qualitative Sprung. Die Menschen, die dann - wohl
zuerst in Leipzig - riefen: "Wir sind ein Volk" wollten die deutsche
Einheit. Und endlich kam jener wundervolle 19. Dezember, als Helmut Kohl
sich in Dresden mit Hans Modrow (wer war das eigentlich?) traf und vor der
damaligen Ruine der Frauenkirche sprach. Die Menschen riefen: "Deutschland,
einig Vaterland." Kohl schloß seine Rede mit den unvergeßlichen Worten:
"Gott segne unser deutsches Vaterland."
Die Demonstranten waren im Herbst 1989 vom Protest gegen das Eingesperrtsein
zur Forderung nach der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit
fortgeschritten.
Gegen was stellten sich die Demonstranten?
1918 war die parlamentarische Monarchie längst Wirklichkeit. Alle
Reichskanzler (von Bismarck angefangen) mußte Kaiser Wilhelm II. dann
entlassen, wenn sie im Reichstag keine Mehrheit mehr fanden und den Haushalt
von den demokratisch gewählten Parlamentariern nicht gebilligt bekamen. So
war das Reich längst ein parlamentarischer Staat (vergleiche etwa: Eberhard
Jäckel: Das deutsche Jahrhundert, Stuttgart 1996). Im Oktober 1918 (leider
viel zu spät) wurde das Deutsche Reich auch verfassungsrechtlich eine
parlamentarische Monarchie. Die Waffenstillstandsverhandlungen liefen
ohnehin (und: auch ohne die Demonstranten hätte am 11. November 1918 das
Morden aufgehört). Die Hungerblockade ließen die angeblich so humanen
Entente-Mächte aber auch noch 1919 weiterbestehen - der Wunsch nach Brot war
also von vornherein vergebens. Im Grunde waren die Demonstrationen vom 9.
November 1918 überflüssig. Die Ausrufung der Republik, das einzige
unerwartete Ergebnis, hat Deutschland nur geschadet. Um mit Golo Mann zu
sprechen, hätte die Monarchie noch lange unserem Land gute Dienste leisten
können.
Welche unmittelbaren Folgen hatten die Demonstrationen?
1918 gab es einige Blutopfer, die bei der Verteidigung der Monarchie ihr
Leben gaben (Wolfgang Zenker und Bruno Heinemann auf "SMS König" in Kiel,
andere in Halle und Berlin).
Im Grunde leistete der alte Staat nach mehr als vierjähriger Überanstrengung
aus Erschöpfung keinen Widerstand. Daß der Umsturz so schnell gelang,
bedeutet nicht, daß sich die Deutschen in ihrer Mehrheit von der Monarchie
abgewandt hatten (auch hierzu schaue man in das Buch von Eberhard Jäckel:
Das deutsche Jahrhundert, Stuttgart 1996).
Das totalitäre System der SED beruhte auf den sowjetischen Bajonetten und
brach zusammen, als die sowjetischen Truppen im Oktober 1989 in ihren
Kasernen blieben. Das war der entscheidende Unterschied zum 17. Juni 1953,
dessen Wiederholung die SED in der im Grunde immer noch bestehenden
Sowjetischen Besatzungszone stets panisch gefürchtet hatte. Zu den
überraschenden Wundern des deutschen und europäischen Herbstes 1989, gehört
es, daß die hochbewaffneten, der SED verpflichteten Staatsorgane nicht
geschossen haben. Ohne sowjetische Unterstützung fehlte ihnen dafür die
Kraft. Daß es nirgendwo zwischen Berlin und Moskau (sieht man von Rumänien
und später Jugoslawien ab) zu einem Blutvergießen kam, war nicht zu
erwarten. Wie der Umsturz 1918 überflüssig war, so war die Revolution 1989
notwendig. Egon Krenz und Michael Gorbatschow hätten, sonst (mit Bonner
Zahlungen) ihre sozialistischen Experimente fortsetzen können - unter
Erhaltung des totalitären Machtapparates und der Parteien.
Auswirkungen auf die innere Ordnung
1918 blieb das Deutsche Reich erhalten - wenn auch als Republik. Die
ungeliebte Republik brachte keinen sozialen Umsturz. Wenige hohe
Würdenträger gingen (mit Pension) in den Ruhestand. Beamte, Soldaten,
Parlamentarier blieben. In seiner Abdankungserklärung vom 28. November 1918
hatte der Kaiser Beamte und Soldaten ausdrücklich aufgefordert, sich den
Inhabern der tatsächlichen Gewalt zur Verfügung zu stellen. Auch die Ordnung
der Wirtschaft blieb unangetastet. Kann man da von einer Revolution
sprechen?
In der Revolution von 1989/90 hingegen verschwand die weder Deutsche noch
Demokratische Republik. Ihre wirtschaftliche und soziale Ordnung ging unter
(mit Ausnahme der Landwirtschaft, wo man meinte den Mythos der preußischen
Junker weiter bekämpfen zu müssen und Betriebe von einer Größe forderte, wie
sie es zuvor nicht gegeben hatte). Nur einige untere und mittlere
Mitarbeiter blieben im Staatsapparat auf ihren Posten. Kurzum: Es fand eine
wirkliche (dazu noch unblutige) Revolution statt.
Wertung
Grundsätzlich müssen wir von unserer Warte her stets betonen: Das
Kaiserreich, ein sozialer Rechtsstaat im Übergang zur parlamentarischen
Monarchie, und die totalitäre sozialistische Republik sind unvergleichbar.
Das Ende des Ersten Weltkrieges stand für den Kaiser, die Oberste
Heeresleitung und den Kanzler schon im August 1918 fest. Die Demonstrationen
waren, was Frieden und Brot betraf, überflüssig.
1989 hingegen haben die Demonstranten zum Zusammenbruch des Kommunismus
wesentlich beigetragen und das Ende des Kalten Krieges mit heraufgeführt.
1918 handelte es sich um eine Art Staatsstreich. Das Ausland und die
radikale Linke wollten die Republik, die Volksmassen dachten nur an ein Ende
des Krieges und der Überanstrengung. 1989/90 fand eine Revolution statt. Der
sozialistische Staat, die marxistisch-leninistische Ideologie, die
Zentralverwaltungswirtschaft, die "fortschrittliche" Gesellschaftsordnung
und schließlich das "Weltfriedenslager" oder der Warschauer Pakt wurden
weggefegt.
1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende - ein Abschnitt des über 30jährigen
Krieges, der von 1914 bis 1945 (mit kurzen Waffenstillständen, die gab es
auch zwischen 1618 und 1648) tobte. 1989/90 bedeuten das Ende von 30 Jahren
heißer Krieg und 45 Jahren Kalter Krieg.